aus Vorträgen von Hans-Gerd Coldewey, August 2016 und 2017
Der See war bis zu 40 m tief, etwa 4 km lang und bis 2 km breit und reichte vom Lütetsburger Schulweg bis über die Hagermarscher Straße hinaus. In Nordrichtung bildete sich eine etwa 600 m breite Schmelzwasserrinne zur Nordsee (Hilgenriede). Die eiszeitliche Rinne setzte sich bis über die heutige Insel Norderney fort. (Die beschriebenen Strukturen wurden durch Bohrungen nachgewiesen.)
In der nachfolgenden Warmzeit (Eem-Warmzeit, 117 bis 128 Tsd. J.v.h.) füllte sich das Gewässersystem bei Anstieg des Meeresspiegels mit Wattsedimenten. Es blieb noch ein bis zu etwa 7 m tiefer Restsee mit seinen Hauptrinnen, die mit den ansteigenden Wasserständen ab etwa 6 Tsd. Jahre vor heute wieder unter Tideeinfluß kam.
Nördlich des Wattengürtels entstanden die Ostfriesischen Inseln aus einem durch Tide und Seegang gebildeten Strandwall, der durch Seegaten unterbrochen wird. Aus der mächtigen eiszeitlichen Rinne der Hilgenriede bildete sich das Baltrumer Seegat (Wichter Ee). Durch das Seegat strömte das Tidewasser aus dem relativ großen Watteinzugsgebiet südlich des Strandwalls bzw. der frühen Insel Baltrum und dazu aus dem Einzugsgebiet der sich bis nach Hage fortsetzenden Hilgenriede mit ihrer Hager Lagune.
Entsprechend groß war der Rinnenquerschnitt des Seegats, durch das ein hoher Seegang aus der Nordsee frei einschwingen konnte. Die hohe Seegangsenergie formte niedriggelegene Wattflächen und eine starke Einbuchtung in der Küstenlinie, die als Hilgenrieder Bucht bezeichnet wird. (Eine einzelne starke Sturmflut hat das Festland nicht „abbrückeln“ lassen.)
Karte, siehe unter: https://www.spd-hage.de/radtour-fruehere-deiche-siele-und-haefen-in-hage/
Die mitgeführten Wattsedimente lagerten sich im Laufe der Zeit in der geschützten Hager Lagune und den Rinnen ab. Sturmfluten mit ihren regelmäßigen Überflutungen der Marschflächen bis zum Hager Geestrand verstärkten die Verlandung.
Hage hatte bis zum Beginn des Deichbaus vor etwa 1000 Jahren einen direkten Nordseezugang. Der seegangsberuhigte See mit seinen tiefen Rinnen war ein idealer Schiffs- und Bootsankerplatz. An der AGRAVIS-Baustelle an der Hagermarscher Straße wurden im Jahr 2013 Keramikfragmente aus einer Flachsiedlung aus der Zeit 3. Jahrhundert vor bis 5. Jahrhundert nach Christus gefunden, wobei sehr seltene Funde aus dem 4./5. Jahrhundert n. Chr. stammen (Mitteilung Dr. König, Ostfriesische Landschaft 22.8.16).
Die frühe Flachsiedlung am Ostufer der Hager Bucht hat demnach 8 Jahrhunderte bestanden. Etwas weiter östlich liegt eine Warft, ein künstlich aufgeschütteter Siedlungshügel, der dem Schutz von Menschen und Tieren bei Sturmfluten diente. Warften wurden lange vor Beginn des Deichbaus etwa seit dem 3. Jh. v. Chr. errichtet. Diese Warft ist bisher nicht untersucht worden.
Mit dem Anstieg der Tidewasserstände setzte sich die Verlandung fort. Die einst mächtige Wichter Ee verlor letztlich ihr Wassereinzugsgebiet aus der Hilgenriede und verlagerte sich nach Osten. So „wanderte“ die Insel Baltrum nach Osten und wurde deutlich (ca. 8 km) kleiner . Die Insel Norderney vergrößerte sich entsprechend. Auch die Hilgenrieder Bucht verlandete.
Bis zum Deichbau entlang der heutigen Küstenstraße L5 (etwa im Jahr 1300) war die Verlandung der Gewässer abgeschlossen. Die Geländestrukturen mit ihren Restrinnen sind in Geländemodell (siehe Karte) erkennbar.
Die ungefähre Lage des Hager Sees wird in folgendem Plan dargestellt:

130.000 bis 2.000 Jahre vor heute
Kartenherausgeber GLL Aurich – Katasteramt Norden

Zusammenfassung:
Der See von Hage mit seinen Rinnen zur Nordsee ist durch die geologischen Strukturen nachweisbar:
Zunächst durch die im Bereich des Sees fehlenden eiszeitlichen Ablagerungen aus der Saale-Eiszeit, die durch Schmelzwasserabfluß erodiert wurden.
Dann durch die abgelagerten Wattsedimente aus der Eem-Warmzeit (117 bis 128 Tsd. Jahre vor heute) bis zu 40 m Tiefe .
Die Ablagerungen in dieser Mächtigkeit aus der Eem-Warmzeit sind eine bedeutende geologische Besonderheit, die den Raum nördlich der heutigen Hager Siedlung kennzeichnet.
Weitere Wattsedimente aus der gegenwärtigen Warmzeit (Holozän) mit bis zu 7,5 m Tiefe, die sich seit etwa 6 Tsd. Jahren vor heute nördlich Hage aufgeschichtet haben, schließen den Bodenaufbau ab. In dem heutigen Geländemodell sind Reste der Hilgenriede auszumachen (siehe obiges Bild).
Die über 30 m tiefe eiszeitliche Hilgenrieder Rinne ist im geologischen Längsschnitt der Insel Norderney erkennbar. Auch frühere Flurbezeichnungen wie „Hilgenriede“ und Straßennamen wie „Hooge Lücht“ deuten darauf hin, dass Hage früher mit Schiffen erreicht werden konnte.
Quellen:
1. Streif, Hansjörg, 1990: Sammlung Geologischer Führer, Bd. 57
2. Niedersachsen Wasser, 2012: Hydrologisches Gutachten –
Wasserschutzgebietsantrag WW Hage
3. Flurkarte FKV Niedersachsen
Ein noch tieferer Blick in den geologischen Aufbau offenbart, dass im Westen und Osten von Hage mächtige Salzstöcke liegen (Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie: http://www.lbeg.niedersachsen.de/startseite/):


Die tonigen Ablagerungen an der Oberfläche wurden in der Vergangenheit für die Ziegelherstellung genutzt. In der Umgebung von Hage sind mehrere frühere Ziegeleistandorte bekannt. Vier Standorte sind in den folgenden Kartenausschnitt der Königl. Preuss. Landesaufnahme von 1891 eingetragen.
